Es gehört zu den Eigenarten der Quantenmechanik, dass Materieteilchen
durch eine eigentlich undurchdringliche Schranke nicht gestoppt
werden, sondern sie passieren können. Der als "Tunneln" bezeichnete
Prozess wird in Mainz mit Hilfe von ultrakalten Quantengasen
untersucht, die am absoluten Temperaturnullpunkt bei etwa minus 273
Grad Celsius in einem Lichtgitter festgehalten werden. "Man kann sich
das so vorstellen, dass dann in dem Lichtgitter jedes Atom auf einem
bestimmten Gitterplatz sitzt wie ein Ei in einem Eierkarton", so
Fölling. Nach den Vorstellungen der klassischen Physik würden die
Atome auf ihrem jeweiligen Platz unbeweglich festsitzen. Nach den
Prinzipien der Quantenmechanik dagegen können sie die Lichtbarriere
von einer Seite zur anderen durchlaufen. Um diesen Effekt genauer zu
untersuchen, haben die Mainzer Quantenphysiker einen modifizierten
"Eierkarton" aus Licht gebaut, bei dem das Tunneln von jedem Platz nur
zu genau einem der benachbarten Plätze im Gitter möglich ist. Es
entsteht eine "Doppeltopffalle", in der ein einzelnes Atom durch
Tunneln zwischen den beiden Plätzen hin- und herwandern kann und dies
bis in die Unendlichkeit tun würde, da keine Reibung es bremst.
Das eigentliche Interesse der Forscher liegt jedoch in der Beobachtung
von miteinander wechselwirkenden Atomen. Dazu setzen sie genau zwei
Atome, welche sich gegenseitig abstoßen, auf eine Seite eines
Doppeltopfes. Je nachdem wie stark diese beiden Atome wechselwirken,
gibt es nun zwei Möglichkeiten, wie sie sich verhalten. Im ersten Fall
wird das Experiment so angelegt, dass die Abstoßung klein und die
Tunnelrate, also die Häufigkeit mit der die Atome von einer Seite der
Barriere zur anderen wandern können, hoch ist. Hier zeigt sich, dass
die beiden Atome gleichzeitig oder nacheinander von links nach rechts
und zurück tunneln.
Im zweiten Fall ist die Wechselwirkung zwischen den beiden Atomen
stärker und die Tunnelrate ist kleiner beziehungsweise die
Tunnelbarriere höher. "Jetzt passiert etwas Erstaunliches: Zwischen
den beiden Atomen herrscht eine starke Abstoßung, und intuitiv würde
man erwarten, dass sie sich deshalb einzeln auf den Plätzen links und
rechts der Barriere einrichten. Dies wäre auch ihr bevorzugter
Zustand. Tatsächlich beobachtet man aber, dass sich die Atome nicht
voneinander trennen und nicht einzeln tunneln. Wenn überhaupt, können
sie nur gemeinsam die Barriere durchlaufen", erklärt Fölling. Das
Phänomen tritt deswegen auf, weil bei einer Trennung des Atompaars
Energie frei würde, die jedoch mangels Reibungsverlusten nicht
"entsorgt" werden kann. Nach dem Energieerhaltungssatz müssen die
beiden daher zusammenbleiben - "repulsively bound pairs" oder "Paar,
das durch Abstoßung zusammengehalten wird" tauften Innsbrucker
Forscher 2006 eine solche Verbindung.
Dass die beiden sich abstoßenden und doch aneinandergeketteten Atome
tatsächlich als Paar tunneln können, haben die Mainzer Experimente
jetzt sichtbar gemacht. Ein solcher Vorgang, bei dem das Tunneln
einzelner Teilchen nicht möglich ist, das eines Paares hingegen schon,
wird "Tunnelprozess zweiter Ordnung" oder "Paartunneln" genannt. Es
ist in einer solchen Anordnung sogar möglich, dass ein Atom dazu
dient, den Tunnelprozess bei einem anderen Atom auszulösen, also die
Funktion eines Schalters für das Tunneln hat - ein Effekt, der für
Elektronen bekannt ist und zur Verwendung in der Elektronik erforscht
wird. In erster Linie aber dient die Untersuchung komplexer
Tunnelprozesse mit Atomen als Modellsystem dazu, das Verhalten von
Elektronen in der Kristallstruktur gewöhnlicher Materialien besser zu
verstehen: Hier bewirken Tunnelprozesse zweiter Ordnung von Elektronen
die gemeinsame Ausrichtung der sogenannten Spins im Material und
erzeugen damit in vielen Materialien deren magnetische Eigenschaft.
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