Für die Forscher gibt es zwei große Probleme, wenn sie in den
Wnt-Signalpfad eingreifen wollen. Da er eine sehr zentrale Rolle im
lebenden Organismus spielt, kann die Unterbrechung der Kommunikation
zum einen schwere Nebenwirklungen auslösen. "Vor allen Dingen müssen
wir lernen, an welchen Stellen wir interferieren können, um genau an
den Stellen einzugreifen, wo die Fehler blockiert werden können, ohne
dabei aber in lebenswichtige Funktionen einzugreifen. Das ist sehr
schwierig", sagte Prof. Walter Birchmeier (MDC), einer der
Organisatoren dieser Tagung.
Zum zweiten sind die Hauptkomponenten des Wnt-Signalwegs "schwierige"
Angriffspunkte für Wirkstoffe, wie Prof. Dale formuliert.
"Medikamente, die 'leichte Ziele' wie etwa Enzyme blockieren, können
mit standardisierten Screening-Methoden entwickelt werden. Die
Medikamente passen normalerweise in kleine Nischen oder Taschen der
Enzyme, wo sie wie ein abgebrochener Schlüssel im Schloss stecken und
dadurch verhindern, dass mit einem anderen Schlüssel das Türschloss
geöffnet wird."
"Medikamente, die schwierige Angriffspunkte wie
Protein-Protein-Interaktionen blockieren, sind sehr viel schwerer zu
entwickeln, da diese Zielkomponenten keine Nischen haben, an denen der
Wirkstoff angreifen könnte. "Die meisten Hauptangriffsziele des
Wnt-Signalwegs fallen in diese Kategorie der "schwierigen
Angriffspunkte," erläuterte Prof. Dale.
Zwei solcher Hauptangriffspunkte im Wnt-Signalweg sind das Protein
Beta-Catenin und der Faktor TCF. In gesunden Zellen ist Beta-Catenin
im Zellplasma fest verankert mit einem aus verschiedenen Proteinen
bestehenden Komplex. Dieser Proteinkomplex sorgt dafür, dass
Beta-Catenin markiert und im Mülleimer der Zelle, dem Proteasom,
abgebaut wird. Eines der Proteine dieses Komplexes ist der
Tumorsuppressor APC (adenomatous polyposis coli).
Schaltet sich aber der Wnt-Signalweg ein, löst sich Beta-Catenin von
dem Proteinkomplex . Da es nicht mehr abgebaut werden kann, häuft es
sich in der Zelle an und wandert schließlich in den Zellkern, wo es an
den TCF/Lef Faktor bindet und Zielgene anschaltet. Erkrankungen, wie
etwa Dickdarmkrebs, Brustkrebs, Gehirn- oder Herzerkrankheiten sind
die Folge. Die Frage für die Forscher ist deshalb, wo und wann in
diese Fehlregulation eingreifen?
"Außerhalb dieser zentralen Komponenten ist der Wnt-Signalweg noch
nicht so gut erforscht, was kein Nachteil ist", so Prof. Dale. So
konnten er und seine Mitarbeiter einen breiteren Ansatz für ihre
Wirkstoffsuche einsetzen. Sie testeten 68 000 Substanzen und ihre
Aktivität gegen den Wnt-Signalweg in lebenden Zellen. "Sobald wir die
vier aktiven Substanzen identifiziert hatten, standen wir vor dem
Problem, ihre Zielstrukturen in diesem Signalweg zu erkennen", sagte
er.
Prof. Dale`s Team konnte zeigen, dass zwei Substanzen den Signalweg in
der Nähe der Hauptkommunikationsstrecke von Beta-Catenin blockieren,
die beiden anderen Substanzen den Signalweg nahe des TCF Proteins.
Weiter konnten sie demonstrieren, dass die Wirkstoffe das
Tumorwachstum in Zellkulturen sowie in Zebrafischembryonen hemmen.
"Allerdings wissen wir noch nicht genau, an welche Strukturen die
Wirkstoffe binden", räumt Prof. Dale ein.
Das ist aber wichtig zu wissen. Denn einige der Zebrafischembryonen
wiesen Entwicklungsstörungen auf, die denen ähnelten, die bereits
zuvor als Folge von Mutationen im Wnt-Signalweg beschrieben worden
sind. "Das lässt den Schluß zu, dass die Substanzen die gleichen
Auswirkungen haben, wie wenn man den Wnt-Signalweg blockiert",
erläutert Prof. Dale. So hatten einige Zebrafischembryonen einen Teil
ihres Gehirns verloren. Die Nebenwirkungen waren aber je nach Substanz
unterschiedlich. Einige lösten gar keine Nebenwirkungen aus, andere
weitere Entwicklungsstörungen, wobei unklar ist, ob sie in
Zusammenhang mit der Blockade des Wnt-Signalwegs stehen oder nicht.
"Das wird noch untersucht," betont der Biochemiker.
In einem weiteren Schritt wollen Prof. Dale und seine Mitarbeiter
Varianten dieser vier Wirkstoffe einsetzen, um Dickdarmkrebs bei
Mäusen zu hemmen, bei denen der Wnt-Signalweg fehlgesteuert ist.
Forscher gehen davon aus, dass das Tumorsuppressor APC Dickdarmkrebs
auslöst. In 90 Prozent der Fälle von Dickdarmkrebs beim Menschen ist
APC mutiert. Die Zukunft wird zeigen, ob die bei den Mäusen erzielten
Ergebnisse so vielversprechend sind, dass die Wirkstoffe dann in
klinischen Studien mit Patienten getestet werden können.
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