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Publiziert am 10.06.2008 Infos zum Internetchemie RSS News Feed

Bakterienauswahl nach dem Aschenputtelprinzip.


 
Hochgeschwindigkeitssuche nach technischen Enzymen.

Darmstadt - Wissenschaftler der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Harald Kolmar am Institut für Organische Chemie und Biochemie der TU Darmstadt haben ein neues Verfahren entwickelt, das die Isolierung maßgeschneiderter Enzyme für den Einsatz in der Biotechnologie und der Wirkstoffsynthese mindestens um den Faktor tausend beschleunigt. Den Darmstädter Wissenschaftlern gelang diese Beschleunigung, indem sie einzelne Enzym produzierende Bakterien durch Hochgeschwindigkeitszellsortierung isolierten.

Technische Enzyme sind heutzutage allgegenwärtig. Jedes Waschmittel enthält Enzyme, die Schmutzpartikel abbauen. Auch für die Lösung der Energieprobleme der Zukunft werden optimierte Enzyme benötigt, etwa für die Herstellung von Biogas oder Biodiesel aus nachwachsenden Rohstoffen. In der Weißen Biotechnologie steht die industrielle Produktion von organischen Grund- und Feinchemikalien sowie Wirkstoffen im Mittelpunkt. Dort spielen optimierte Enzyme eine zentrale Rolle. Allerdings stellt die Natur nicht für jeden chemischen Syntheseprozess ein optimales Enzym bereit. Daher ist es häufig notwendig, natürliche Enzyme hinsichtlich Aktivität, Selektivität oder Stabilität zu optimieren.

"Seit vielen Jahren werden Bakterien als Produzenten technischer Enzyme herangezogen", erklärt Professor Kolmar, Biochemiker am Fachbereich Chemie der TU Darmstadt. "Um optimierte Enzyme zu erhalten, werden Grundprinzipien der natürlichen Evolution angewandt, nämlich Mutation und Selektion. Wir führen Mutationen nach dem Zufallsprinzip in Enzym-gene ein, lassen Escherichia coli-Bakterien die resultierenden Enzymvarianten produzieren und suchen dann nach Bakterien mit den gewünschten verbesserten Enzymeigenschaften."

Dies ist bislang ein langwieriger und mühsamer Prozess. Tausende von Mikroorganismen, die jeweils eine andere Enzymvariante produzieren, müssen bisher getrennt kultiviert werden. Um an die Enzymkandidaten zu gelangen, müssen die Mikroorganismen zerstört und der Zellinhalt muss aufgearbeitet werden. "Wir haben einen genetischen Trick verwendet und Bakterien genetisch so umprogrammiert, dass diese das Enzym der Wahl nicht mehr im Zellinneren, sondern außen auf der Zelloberfläche bereitstellen", erklärt Kolmar. "Dann können lebende Zellen direkt für einen Enzymtest eingesetzt werden."

Ein zweiter wichtiger Meilenstein wurde erreicht, als es den Wissenschaftlern gelang, die Suchstrategie nach Enzymen mit gewünschten Eigenschaften soweit optimieren, dass die Enzymaktivität einzelner Bakterienzellen analysiert werden kann. Dazu haben die Darmstädter Wissenschaftler zu-sammen mit Kollegen am Forschungszentrum Jülich und am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim ein Verfahren entwickelt, um einzelne Bakterien, die das gewünschte Enzym präsentieren, rasch zu erkennen. Hierfür wurden spezielle Enzymsubstrate synthetisiert, die mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert werden können. Wenn das Enzym in der Lage ist, das Substrat umzusetzen, wird das Produkt der Reaktion ebenfalls auf der Oberfläche der enzymatisch aktiven Bakterienzelle fixiert. Damit können enzymatisch aktive Zellen von inaktiven Zellen unterschieden werden, da sie einen Fluoreszenzmarker tragen und nach Lichtanregung Photonen emittieren. Viele Millionen Bakterienzellen, von denen jede eine etwas andere Enzymvariante trägt, können so einem Enzymtest unterzogen werden. Einige wenige zeigen dann Substrat-Umsatz und Fluoreszenz.

"Um an diese wertvollen Bakterien heranzukommen, die das gesuchte Enzym tragen, verwenden wir ein Hochgeschwindigkeitszellsortiergerät", erklärt Kolmar. Bakterien werden dort in Wasser aufgenommen und durch eine Düse geschossen. Die einzelnen Wassertröpfchen mit eingeschlossenem Bakterium fliegen dann an einem Hochleistungslaserstrahl vorbei. Befindet sich ein fluoreszierendes Bakterium im Tröpfchen, emittiert dieses Photonen und zeigt damit die gesuchte Enzymaktivität an. Solche Bakterien werden elektrostatisch aufgeladen, damit aus ihrer Flugbahn abgelenkt und eingesammelt. Nicht fluoreszierende Bakterien landen im Abfall. "Wir nennen diesen Vorgang das Aschenputtelprinzip: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen. Allerdings sind wir deutlich schneller als Aschenputtels Tauben. Hunderttausend einzelne Bakterien und damit hunderttausend Enzymkandidaten können in einer Sekunde analysiert werden. An einem Arbeitstag werden daher bis zu 100 Millionen Enzymkandidaten durchmustert. Bisherige Verfahren konnten lediglich mit einigen tausend bis einigen zehntausend Kandidaten arbeiten", so Kolmar.

In der Zeitschrift "Angewandte Chemie" (Becker et. al., Angewandte Chemie Int. Ed., 2008, Vol 47) berichteten die Darmstädter Biochemiker über dieses Verfahren, das sie erstmals auf die Optimierung eines Ester spaltenden Enzyms angewandt haben. In einer einzigen Runde von Hochgeschwindigkeitssortierung von 100 Millionen Zellen gelang es, gewünschte Enzymvarianten zu isolieren.

 

Quellen und Artikel:

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Stefan Becker, Horst Höbenreich, Andreas Vogel, Janina Knorr, Susanne Wilhelm, Frank Rosenau, Karl-Erich Jaeger, Manfred T. Reetz, Harald Kolmar:
Single-Cell High-Throughput Screening To Identify Enantioselective Hydrolytic Enzymes.
In: Angewandte Chemie International Edition; Published Online: Jun 2 2008; DOI: 10.1002/anie.200705236

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Quelle: Technische Universität Darmstadt

 

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