Neue Forschungen zu Dynamik an Oberflächen und in dünnen Schichten
Materialphysiker der Universität Wien publizieren dazu
gleich dreimal in den "Physical Review Letters".
Innerhalb weniger Wochen erschienen drei Arbeiten in der international
führenden Fachzeitschrift "Physical Review Letters", die über Ergebnisse
eines mehrjährigen, breit angelegten Forschungsprojekts der
Materialphysik der Universität Wien berichten. Die Gruppe um die
Physiker Gero Vogl und Bogdan Sepiol von der Universität Wien fand
heraus, dass Atome an der Oberfläche viel weicher schwingen als im
Inneren, und ist den Sprüngen einzelner Oberflächen-Atome auf der Spur.
Nanophysik und Nanochemie sind moderne Forschungsgebiete zur
Untersuchung von Oberflächen, Grenzflächen, dünnen Schichten und
kleinen Partikeln. Die Erkenntnisse bieten Grundlagen für die
Entwicklung immer kleinerer Bauteile. Dass diese Wissenschaftsgebiete
von großer Bedeutung sind, spiegelt sich auch in der diesjährigen
Vergabe der Nobelpreise für Physik und Chemie wider.
In den Arbeiten der Physiker-Gruppe der Universität Wien geht es
speziell um die Wärme-Bewegung einzelner Atome, deren Diffusion, und
die Wärme-Schwingungen der Schichten. Die Schwingungen bestimmen die
thermischen Eigenschaften und damit die spezifische Wärmekapazität.
Die Diffusion in und auf den Schichten bestimmt deren thermische
Stabilität. Als Grundlagenforscher haben sich die Wissenschafter der
Universität Wien auf "klinisch reine" Flächen beschränkt, indem sie
einzelne Flächen präparierten, um die komplizierten Phänomene zu
entwirren, die sich in der Nanophysik und Nanochemie vermischen. Das
Verständnis des thermischen Verhaltens der Materialien ermöglicht in
der Folge die Herstellung und Verbesserung neuer Nanomaterialien, wie
sie heute in der modernen Technik gefragt sind, z.B. in
Turbinenschaufeln, Motorenteilen und Abgas-Katalysatoren.
Experimente in Grenoble
Um die Oberflächenqualität untersuchen zu können, bauten die Physiker
spezielle Analyse-Vorrichtungen an der European Synchrotron Radiation
Facility (ESRF) in Grenoble. Am Synchrotron kann extrem scharfe
Röntgenstrahlung erzeugt werden, die es erstmals ermöglicht,
Untersuchungen der Oberflächen-Dynamik anzugehen. Unabdingbar für den
Erfolg war eine Apparatur (eine "Kammer") direkt am ESRF, in der ein
10.000-milliardenfach kleinerer Gasdruck herrscht als wir ihn fühlen.
Das ist notwendig, um die Oberflächen rein zu halten. Allein die
Konzeption dieser Apparatur erforderte mehr als ein Jahr. Ihre
Konstruktion ist nicht abgeschlossen, sondern wird entsprechend dem
kontinuierlichen Lernen beim Experiment immer wieder neu angepasst.
Vorraussetzung für die Experimente war, dass dieser niedrige Gasdruck
nicht nur bei Raumtemperatur, sondern auch bei einigen hundert Grad
Celsius stabil blieb. Darüber hinaus musste der Synchrotronstrahl
durch Spezialfenster unter ganz flachem Einfallwinkel in die Kammer
eindringen und aus ihr wieder austreten können. Der ein- und
austretende Strahl wird mit Hilfe feinster Monochromatoren bezüglich
seiner Energie und Intensität eingestellt und nach seiner Interaktion
mit der Oberflächenschicht analysiert.
Ergebnis: Schwingung und Sprünge der Oberflächen-Atome können
verfolgt werden
Mit dem Forschungsprojekt konnte nachgewiesen werden, dass die Atome
in der Oberflächenschicht viel weicher schwingen als im Inneren.
Darüber hinaus lässt sich feststellen, wie diese Weichheit mit der
Tiefe abklingt. Die Physiker wissen nun, dass und wie in "epitaktischen"
- das bedeutet auf einem anderen Material aufgewachsenen -
Oberflächenschichten, die darunter liegenden Schichten ihren Einfluss
geltend machen. Mit Hilfe der neuen Untersuchungsmethoden lässt sich
auch das Springen einzelner Atome auf der Oberfläche mitverfolgen. Zu
diesen Forschungsarbeiten wurden in den renommierten "Physical Review
Letters" bereits zwei Beiträge im August und Oktober 2007
veröffentlicht.
EU-weite Forschungskooperation der Universität Wien
Die Initiative zu diesem Forschungsprojekt setzte Gero Vogl 2001.
Damals gründete er das Netzwerk Materialdynamik MDN, dem ForscherInnen
aus Österreich, Polen, Ungarn, der Slowakei, Frankreich und
Deutschland angehören. Das Ziel der Forschungskooperation war nicht
nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein forschungspolitisches:
die Förderung der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern aus den neuen
EU-Ländern vor und nach deren Beitritt. Darüber hinaus sollten die
neuen technischen Möglichkeiten der größten europäischen
Synchrotronquelle in Grenoble gemeinsam genutzt werden. Der Beitritt
Österreichs zur ESRF im Jahr 2003 verbesserte für das Forscherteam die
Möglichkeiten zum Einsatz von Synchrotronstrahlung.
Finanziert wurden die Forschungsarbeiten vom damaligen
Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, dem FWF und
durch das von der EU genehmigte STREP-Projekt DYNASYNC. Inwiefern die
erfolgreiche internationale Kooperation bestehen bleibt, hängt nicht
zuletzt davon ab, ob die großzügige Förderung fortgesetzt wird.
Quellen und Artikel:
-
Schwingungen einer einzelnen Oberflächen-Atomlage
(Eisen) sowie sukzessive tieferer Lagen:
T. Ślzak,
J. Iaewski, S. Stankov, K. Parlinski, R. Reitinger, M. Rennhofer, R.
Rüffer, B. Sepiol, M. Ślzak, N. Spiridis, M. Zając, A. I. Chumakov,
and J. Korecki: Phonons at the Fe(110) Surface.
In: Physical Review Letters;
Phys. Rev. Lett. 99, 066103 (2007); doi:
10.1103/PhysRevLett.99.066103.
-
Diffusionsbewegungen, das sind die Sprünge
einzelner Atome, in und auf Oberflächenschichten:
Schwingungen einzelner Eisen-Atomlagen auf
Wolfram. Eisen auf Wolfram ist ein von der Struktur besonders gut
untersuchtes Modell-System:
S. Stankov, R.
Röhlsberger, T. Ślzak, M. Sladecek, B. Sepiol, G. Vogl, A. I.
Chumakov, R. Rüffer, N. Spiridis, J. aewski, K. Parliński, and J.
Korecki: Phonons in iron:
from the bulk to an epitaxial monolayer.
In: Physical Review
Letters, Phys. Rev. Lett., Volume 99, Issue 18, DOI
10.1103/PhysRevLett.99.185501